Lettl in Lindau - Surrealismus im Haus der Wirtschaft


Rede von Wolfgang Lettl
zur Eröffnung des neuen Museums
im Haus der Wirtschaft in Lindau
am 15. Juni 2002


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

vor etwa zehn Jahren durfte ich in der Toskanischen Säulenhalle im Augsburger Zeughaus etwa 150 meiner Bilder ausstellen. Und obwohl Eigenlob bekanntlich stinkt, schließe ich mich doch der Meinung der Mehrzahl der Besucher an, es sei eine gute Ausstellung gewesen. Ich hatte nie zuvor so viele meiner Bilder beieinander hängen gesehen und ich hatte den Eindruck, dass sie beisammen bleiben müssten, weil sie so unter sich viel besser zur Wirkung kämen als bei den üblichen "großen" Schwäbischen, Münchner oder sonstigen Kollektiv-Ausstellungen, wo sie im Wirrwar von allerlei keineswegs immer überzeugenden Modernismen und mitunter doch arg albernen Superpostmodernismen einsam, verloren und fehl am Platze wirkten.

In meiner Naivität und weil ich mit der Denkweise von Behörden noch nicht so sehr vertraut war wandte ich mich an die Stadtverwaltung mit dem Angebot, ihr meine Bilder kostenlos auf unbeschränkte Zeit leihweise zu überlassen, wenn sie mir die für eine Dauerausstellung nötigen Räume zur Verfügung stellen könnte.

Nun bin ich zwar kein Prophet und kann auch nicht behaupten, dass ich in meiner Vaterstadt gar nichts gelte, und so ein Dorf ist Augsburg auch wieder nicht, dass jeder mit jedem verwandt ist. Aber irgendwie kennt man sich doch, einschließlich sich selber und aus dieser kollektiven Selbsterkenntnis heraus kommt man gern zu dem Schluss: Was Gescheites kann da nicht herauskommen. Ich will aber nicht ungerecht sein und Steine werfen, schließlich geht es einem ja selbst so. Und dass eine Stadt kein Geld hat für etwas, das sie nicht will, ist auch nicht so neu, aber ... wir haben eine Vision. Das ist auch schon etwas.

Die IHK in Augsburg reagierte anders. Sie war der Meinung, meine Bilder seien eine kulturelle Bereicherung für die Stadt und im IHK Bildungs - Atrium wären genügend leere Wände. Einstimmig beschloss die Vollversammlung die Einrichtung des "Lettl-Atriums", und wir konnten uns auf die großzügige Hilfe der IHK und den freudigen Einsatz des eigens gegründeten "Lettl-Vereins" verlassen. "Wir", das sind ich und mein Sohn Florian, an dem immer die meiste Arbeit hängen bleibt. Aber wir haben ausgemacht, uns nicht gegenseitig bei uns zu bedanken. Es macht auch so Spaß.

Das "Lettl-Atrium" ist eines der meist besuchtesten Museen im Raum Augsburg geworden, genau kann ich mich da nicht festlegen, weil niemand zum Besucherzählen da ist, und weil das Atrium ohnehin von vielen Menschen besucht wird, nicht nur wegen meiner Bilder, aber schon auch. 168 sind es übrigens dort.

Herr Anselment von der IHK Lindau war zu Besuch bei der IHK Augsburg und selbstverständlich wurde er auch ins Museum geführt. Ob man so etwas nicht auch in Lindau haben könnte, fragte er, da gibt es einen wunderschönen Treppenaufgang, Jugendstil, frisch renoviert, und sonst wären auch noch viele leere Wände da.

Man überlegte, beriet, war sich im Grundsätzlichen schnell einig, überlegte und beriet weiter, dann artete es in Arbeit aus und jetzt sind wir fertig zu allerseitiger voller Zufriedenheit, denke ich doch und ich freue mich, dass meine Bilder am schönsten Fleck Bayerns hängen, wobei zu bemerken ist, dass es in Bayern mehrere schönste Flecken gibt, je nach Wetterlage, aber ich persönlich war immer schon am liebsten am Wasser, je größer um so besser.

Die Mannschaft

"Lettl in Lindau" heißt der Ableger des Augsburger "Lettl-Atriums" und als Logo wurde die Viermännergruppe aus dem Bild "Die Mannschaft" gewählt, weil die vier Männer auf einem schmalen Steg stehen, der genau so aussieht als ob er in den Bodensee führte, wobei niemand daran Anstoß nehmen sollte, dass es nur drei Männer sind und ein Fisch, aber das ist im Surrealismus nun einmal so, da verschwindet mal was und plötzlich ist was ganz Unpassendes dafür da, damit es nicht langweilig wird. Kunst hat nämlich etwas gegen Langweiligkeit und ich auch und das Leben sowieso. Vor allem in Bezug auf Farbigkeit ist der Fisch schöner als die Herren in schwarz, wo nur die Krawatten sich krampfhaft bemühen, ein paar Farbtupfer ins Bild zu bringen; aber drei Fische auf den Steg zu bringen und nur einen Herren, das wäre schlecht gewesen und gar vier Fische in dieser Art, das hätte ausgesehen als wollte die IHK Lindau Steckerlfisch verkaufen.

Sie sehen, auch beim Malen geht´s nicht ohne Denken und besonders beim Surrealismus, weil der mit Denken eigentlich nichts zu tun haben sollte, sonst kommt etwas dabei heraus, was ich üblicherweise mit einem ganz hässlichen Wort bezeichne, das ich hier in diesem festlichen Rahmen nicht verwenden will, obwohl es genau besagt, was es meint und obwohl ich bei seiner Nennung mich immer an einen lieben, alten, inzwischen längst verstorbenen feinen Herrn und Freund erinnere, bei dem ich diesen Ausdruck zum erstenmal vernommen habe und der einer der Wenigen war, die meine Bilder schon zu einer Zeit schätzten, als üblicherweise die Meinung über mich noch war: Malen kann er ja, aber warum malt er solchen Blödsinn. Nun ist es kein allzu großes Übel, wenn man Gutes für Blödsinn hält, das lässt sich beheben, soweit der Mensch noch lernfähig ist; viel schlimmer ist, wenn man ausgemachten Blödsinn, oder auch nur Schwachsinn für hohe Kunst ausgibt. Das ist irreversibel, da sich ja keiner vor niemand blamieren will, vor sich selber schon gleich gar nicht. Schließlich hat es viel Geld gekostet.

Für solche die meine Bilder für Blödsinn halten, und denen ich keinesfalls böse sein kann, weil es mir mit vielen guten Sachen, die ich nicht auf Anhieb kapiert habe, auch so gegangen ist und für diejenigen, die sie zwar nicht ablehnen, ihnen aber doch mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen, will ich nun versuchen mit ein paar Hinweisen den Zugang zu meiner Bilderwelt zu erleichtern. Ich muss Sie dazu mit etwas Tiefenpsychologie belästigen, obwohl ich auch nicht viel davon verstehe, und die paar Hinweise, die ich Ihnen geben will, stammen auch nicht von mir, sondern von gescheiten Leuten und sind für Sie wahrscheinlich nichts Neues.

Sie besagen, dass das "Ich" in zwei Teile zerfällt, in das Bewusste und das Unbewusste, aber nicht zu gleichen Teilen, sondern 1:7, wie beim Eisberg von dem nur 1/7 über dem Wasser ist und 6/7 unter, will sagen, dass wir auch über uns selber nur zu 1/7 einigermaßen im klaren sind, bei dem 6/7 Rest kommen wir mit unserem Denken nicht an. Bei diesem Vergleich stimmt das Verhältnis 1:7 zwar ziemlich genau, aber das Eis unter Wasser ist das selbe wie über, so dass man es mit dem unbekannten Unbewussten nicht gleichsetzen kann, unbekannt ist es nur in seiner Größenausdehnung unter Wasser und das ist allerdings eine Gefahr für die Schiffe.

Ein anderes Beispiel bringt zwar nicht ganz das richtige Verhältnis eins zu sieben, ist dafür aber viel anschaulicher: Unsere Erde ist zum großen Teil von Meeren bedeckt, d.h. da ist sie für uns ziemlich unzugänglich und fremd und deswegen nennt man auch den Surrealismus, der sich bemüht Bilder aus dem Unbewussten hervorzuheben nicht ganz ernst gemeint: Seelische Tiefseetaucherei, will sagen, dass Begriffe, die mit dem Verstand nicht auszuloten und nicht zu zählen, messen oder wiegen sind durch Meditation und Versenkung erschlossen werden wollen und das geschah schon immer in jeder Art von Kunst, wenn auch nicht immer so ausgeprägt wie im modernen Surrealismus.

Wie es sich gerade günstig ergeben hatte, passten die Bilder der Reihe mit der nicht eindeutigen Bezeichnung "Nacht-räume" oder "Nach-träume" gut in den unteren Teil des Treppenaufgangs, und da geht es wiederum um einen Steg, aber diesmal nicht am Bodensee, sondern um ein Brett, das in eine senkrechte, tiefe dunkle Schlucht eingeklemmt die Seitenwände hoffnungslos unbedeutend miteinander verbindet; sozusagen als Symbol des Lebens: eine kurze Strecke über dem Abgrund mit unbekanntem Vor- und Nachher und auf dieser engen Bühne spielt sich alles ab, so oder so, je nachdem.

Zylindermann   Die Stocherer   Laibach

Der "Zylindermann" etwa, hohl und in sich gespalten, zielt gelangweilt auf den weißen Vogel, der die Freiheit bedeutet. Die "Stocherer", altertümlich gekleidet, stochern mit ewiglangen Stangen im morastigen Untergrund und fühlen sich nicht ganz verlassen, weil sie ja zu dritt sind und Verlassenheit mal 3 ist 1/3 Verlassenheit, manchmal. Und "Laibach" der Stier, unter dessen Gewicht sich das Brett gefährlich biegt, probiert ob sich die Wände nicht mit den Hörnern wegboxen ließen, die blonde "Centaura" hingegen mit ihrem im fahlen Licht violett schimmernden Schweif ist so sehr in ihre eigene Schönheit vernarrt, dass der Mond aufscheint um ihr Gesellschaft zu leisten. Einer riskiert das Letzte und springt ab von seinem Brett, irgend etwas müsste da unten ja sein, und der "Gaukler" führt vor hohlköpfigen Schemen seine üblichen Späße vor, weil ihm in seiner Verzweiflung nichts Besseres einfällt. Dem König mit Szepter und Krone ist es zwar gelungen, wenn auch nicht überzeugend, seinen Thron und sich selber auf das viel zu schmale Brett zu retten, aber auf dem Brett daneben grinst ihn sein Tod in der selben Haltung höhnisch entgegen, der ist der Mächtigere.

Centaura   Der Gaukler   Der König und sein Tod

Der Auftrag   Die Schwestern   Der Gummistiefeltyp

Ein Radfahrer (im Surrealismus genügt ein Zahnrad und zwei Pedale, um ein Fahrrad glaubhaft zu machen), ein Radfahrer also hat den Auftrag, Goyas "Nackte Maja" über das Brett aus der einen Wand in die entgegengesetzte zu transportieren, was ihm offensichtlich nicht die geringste Mühe bereitet und wobei man sieht, dass es grundsätzlich Unmögliches gar nicht gibt, und wie ich seit neuestem vermute, auch gar nicht geben könnte, selbst wenn es wollte. Die "Schwestern" sind nur Schnattervögel mit keinem Sinn für den ach so nötigen Ernst des Lebens. Der Revolutionär hingegen bringt das Feuer der Freiheit auf das Brett und in die Welt; dass ihm Kopf und Hirn fehlen vermindert nicht seinen Weltverbesserungselan. Beim "Gummistiefeltyp" schließlich artet die Schlucht in eine stinkende Kloake aus, der muss da irgendetwas suchen, so was kommt öfter vor. Er hält sich furchtbar unauffällig im Dunstkreis der feinen Dame auf, die zwar offensichtlich nicht die Seine ist, wir wollen´s ihm gönnen, er hat halt auch gerne mal einen besseren Duft in der Nase, aber wie die überhaupt da hingekommen ist?

Ich will Ihnen nicht zu allen Bildchen ein Geschichtchen erzählen, nur zu der Hängebrücke auf halbem Weg zum ersten Stock, weil sie sozusagen auch zu den Stegbildern gehört, nur ein bisschen größer.

Der Rückweg

Der Mann heißt Yussuf, d.h. er heißt gar nicht Yussuf und war auf keiner Hängebrücke sondern am Adriastrand und ausgesehen hat er ganz anders und die Kleider auf seiner Stange wollte er verkaufen, hat sie aber nicht losgebracht. Da kam ein Windstoß und wirbelte die Kleider so malerisch durcheinander, dass mir die Idee kam, das zu malen. Nein, nicht realistisch, das wäre mir zu banal gewesen. Zunächst passte gar nicht zu mir, dass der Mensch fest auf dem Boden stand, das tue ich auch nicht, wie wär´s zur Abwechslung mal auf einer Hängebrücke? Ich habe noch nie eine Hängebrücke gemalt, höchstens einen Seiltänzer auf dem Seil, aber das ist doch etwas anderes. Der kann zwar auch herunterfallen, aber nicht weil das Seil reißt, sondern wegen dem Gleichgewicht. Woran soll denn die Hängebrücke hängen? Da brauch ich links und rechts einen Berg, wo ich sie fest machen kann. Mag ich aber nicht. Ich hänge die Brücke einfach in die Luft vor den blauen Himmel mit Schönwetterwölkchen, lass die Seile links und rechts parabolisch nach oben gehen und dann, dann kann sich jeder denken was er will, mich geht das nichts mehr an, denn dann kommt der Bilderrahmen und der verkündet: Hier ist das Bild zu Ende, hier beginnt die reale Welt, die IHK Lindau. Das ist zwar nicht arg surreal, aber manchmal rücken Surrealistisches und Realität doch ganz schön eng zusammen und für alle Fälle mach ich die Hängebrücke so windig und angemorscht, dass Darübergehen zum Abenteuer wird, schon gar mit den Kleidern auf der Stange die im Wind gaukelnd sich zu allerliebsten Formen aufblähen und so turnend einen intensiveren Eindruck, ja Duft von Weiblichkeit verströmen, als er je von realen Damen ausgehen könnte, meine ich.

Jetzt höre ich aber auf. Über Bilder kann man schon reden, aber das muss nicht sein. Sie haben ihre eigene Sprache und die will verstanden sein, Worte können nur hinführen und das habe ich mit dieser kurzen Rede beabsichtigt.

Ich danke Ihnen allen, die zur Einrichtung dieses kleinen Museums beigetragen haben, auch im Namen meiner Bilder die nicht irgendwo mit verdeckten Gesichtern gestapelt herumstehen oder in Tresoren versauernd ihrer Wertsteigerung harren wollen. Sie sind nämlich eitel und wollen unter die Leute um gesehen zu werden.