Wolfgang Lettl 85 Jahre

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18.12.2004


Der malende Luftgänger

Augsburger Surrealist Wolfgang Lettl wird heute 85 -Jubiläumsschau in der IHK

Von unserem Redaktionsmitglied Alois Knoller

Selbstporträts sind bei Wolfgang Lettl selten. Zum 85. Geburtstag am heutigen Samstag hat der Augsburger Surrealist wieder eines gemalt, das vierte in seinem Leben. Erspielt darauf nur beiläufig eine Rolle, tritt aus einer von drei Türen, während ihm gegenüber eine chaotische Gesellschaft herausquillt und in der Bildmitte eine übermächtige, rote Figur erscheint.

Ein Albtraum seiner Kindheit sei darin enthalten, aber auch die Erfahrungen eines langen Lebens, sagt der Künstler. Geradlinig folgt Lettl bis heute der Forderung der Surrealisten, man bringe möglichst große Gegensätze auf möglichst engem Raum zusammen. Allerdings fließen bei ihm auch reale Elemente ein und Chiffren der Kunstgeschichte, wie die Jubiläumsausstellung bei der Augsburger Industrie- und Handelskammer zeigt. So schwebt Michelangelos Weltenschöpfer aus der Sixtinischen Kapelle bei Lettl über endlosen Wassern, aus deren Mitte sich vier Brückenteile ohne Zusammenhang miteinander erheben.

Menschliche Konstruktion verfehlt offenbar den göttlichen Bauplan, findet nicht zur sinnstiftenden Einheit. Eine Dame im Boot - Frau Weisheit? - nimmt das Chaos zur Kenntnis.

Der Prophet Jeremia, ebenfalls ein Michelangelo-Zitat, kauert versunken und einsam in einer grauen Häuserzeile, während über ihm drei Luftgänger in einer Pyramide mit riesigen Lauschern flink hinwegziehen. Lettl lässt sich von seinen Ideen überraschen, produziert „einen Haufen verschmiertes Papier", ehe ein Gemälde entsteht.

„Es ist wie beim Schwammerlsuchen: Ich weiß vorher nicht, ob und wo ich Pilze finden werde", erzählt er.
Malen sei „nicht die Ausübung eines Tuns, das bekannt ist".

Lettl, unmittelbar nach dem Abitur 1938 zum Wehrdienst eingezogen, hat schon als Nachrichtensoldat in Paris seine freie Zeit zum Aquarellieren genutzt, nach Kriegsende folgten erste surrealistische Versuche, die sein bevorzugter Stil bleiben sollten.

Lettl schafft meist künstliche Räume, oft mit blaugrüner Stimmung, in klinischer Neonbeleuchtung. Ein Laboratorium des Unterbewussten baut er auf, bestückt mit Traumbildern, die ängstigen oder erheitern können. Was soll man von einem geflügelten Mühlrad

halten, das die eigene Natur schwerelos überwindet? In welcher Absicht ziehen die vier roten „Berichterstatter", Masken mit Stummelfüßchen, über das Land? Voll spöttischer Tragik ist seine „Entführung aus dem Serail": Da grüßt eine verführerische Nackte aus ihrem Turm einen schmachtenden Liebhaber, der auf den Rücken einer anderen Frau geschnürt gerade davon geschleppt wird.

„Das Leben ist das Eintreffen des Unwahrscheinlichen", sagt Lettl. Und malt eine Quelle, die aus einem schwebenden Pischkopf sprudelt, in Gesellschaft einer langbeinigen Dame unterm Papierhut. Ikarus stürzt im Rücken eines unbeteiligt glotzenden Pischeschwarms ab. Zappelnde Füße ragen aus der „Zwickmühle", angetrieben von mit Augen besetzten Windflügeln. Die roten Flügel kehren wieder in dem gemarterten Kopf, der sich vor hohlen Schablonen zu verantworten hat.

Bilder seien „Mitteilungen von drüben", betont Lettl.
Malend zähmt der Surrealist die unheimlichen Mächte, indem er sie lächerlich macht und so ihren Bann bricht.