Lettl im Gericht

Pressestimmen

sueddeutsche.de


12.01.2002


"Ein Maler hat Träume und Ahnungen"


Betonpoller im Zauberwald

Der Augsburger Surrealist Wolfgang Lettl stellt im Strafjustizzentrum aus
und ironisiert kommunale Ärgernisse


Von Cornelia Gockel

Wolfgang Lettl - Augsburger Delegation am Kap der Guten Hoffnung - 2001
Augsburg - Eine merkwürdige Gesellschaft hat sich da am Meeresstrand versammelt: ein korrekt gekleideter Mann mit adrett gescheitelter Frisur, aber nur mit einem Auge, ein lächelnder Esel, eine grüne Riesenschlange und eine nackte Frau, die an Stelle des Kopfes eine Suppenterrine auf ihren Schultern trägt - rätselhafte Figuren mit kegelförmigen Körpern, wie aus einer anderen Welt. „Augsbuger Delegation am Kap der guten Hoffnungen" hat Wolfgang Lettl sein surreales Bild genannt. Wer sind die rätselhaften Gestalten? Warum sind sie an diesem düsteren, wolkenverhangenen Tag hier zusammengetroffen? Steht das Bild in Beziehung zu einer tatsächlichen Begebenheit?

Zumindest ein Aspekt des Gemäldes lässt sich schnell aufklären: „Es ist eine ironische Anspielung auf das leidige Parkproblem, das die Stadt Augsburg mit dem Aufstellen von Betonpollem lösen wollte," erklärt Lettl schmunzelnd, der gegen die „Stöpsel" erfolgreich opponierte. Obwohl der Maler in diesem Jahr 83 wird, ist die Ausdruckskraft seiner Bilder ungebrochen.

Derzeit präsentiert er unter dem ironischen Titel „Lettl im Gericht" bis zum 8. Februar im Foyer des Augsburger Strafjustizzentrums neue Bilder.

Ort und Titel der Ausstellung hätten sich zufällig ergeben, weil „die Oberen der Justiz" dem Lettl-Verein den Ausstellungsort angeboten hatten. In Seiner Geburtsstadt Augsburg gilt der Künstler bereits als Legende. Mit dem „Lettl-Atrium, Museum für surreale Kunst" im Gebäude der Industrie- und Handelskammer erhielt er 1993 ein eigenes Museum, das seine Arbeiten ausstellt.

Als Maler ist Wolfgang Lettl Autodidakt. Sich „als Schüler oder Meisterschüler von Prof. Sowieso auszugeben", das wollte er nicht. Erste Begegnungen mit der Kunst hatte Lettl in Paris, wo er zwischen 1940 und 1943 als Nachrichtensoldat stationiert war. Bei Stadtrundgängen in der Freizeit entstanden erste Aquarelle. Nach Kriegsende kehrte Lettl dann nach Augsburg zurück und machte seine Leidenschaft zum Beruf: „Meine ersten surrealistischen Bildchen waren Aquarelle, weil damals vor der Währungsreform Ölfarben nicht erhältlich waren.

Er habe einfach „drauf los experimentiert".
Nur bei den Gefühlen machte er keine Experimente.

Als Lettl in Augsburg Franziska Link kennen lernte, die er 1949 heiratete, war es „Liebe auf den ersten, zweiten und dritten Blick," erinnert sich seine Frau. Dann sagt sie: „Ich 'bin immer noch sein bevorzugtes Modell, obwohl er mich längst auswendig kennt." Die Zeit nach dem Krieg war hart für das junge Paar, Wolfgang Lettl verdiente den Lebensunterhalt als Bau- und Lagerarbeiter. Doch schon nach wenigen Jahren hatte er sich als freischaffender Künstler in Augsburg einen Namen gemacht. So erhielt er größere Aufträge für Wandmalereien, Mosaiken und Farbfenster.

Kontinuierlich entwickelte er in seinen Gemälden und Zeichnungen seinen eigenen Surrealisten Stil. Da bewegen sich kopflose Gestalten durch düstere Landschaften, Widersetzen sich rätselhafte, schwebende Objekte in beklemmenden Interieurs den Gesetzen der Schwerkraft und bedrohen geheimnisvolle Melonenträger phantasievolle märchenhafte Figuren in einem Zauberwald.

Einen ganz anderen Lettl kann man in seinen Landschaftsbildern von Apulien kennen lernen. Seit 1975 hat der Maler dort seinen Zweitwohnsitz. In Italien gelangte er zu einem spätimpressionistischen Stil: Fischerboote schaukeln im Hafenbecken von Manfredonia und Mandelbäume öffnen ihre Blüten unter wärmenden Sonnenstrahlen. „Ich habe diese Bilder gemalt, weil es ein so schönes Erlebnis ist, sich vom Licht dieser Landschaft verzaubern zu lassen," erklärt Lettl. Seine Apulienbilder sind Ferienbilder, eine heitere unbeschwerte Welt, die im Gegensatz steht zu anderen, oftmals bedrückend wirkenden Gemälden.

Umfangreich und vielseitig ist Lettls Werk, selten scheint sich der Augsburger eine Pause gegönnt zu haben.

Elf großformatige Gemälde sind allein im vergangenen Jahr entstanden, die jetzt in der Augsburger Ausstellung zu sehen sind.

Sein neuestes Bild mit dem Titel „Was schaut ihr? Seht euch selbst an!" liebt er besonders. Es zeigt eine Frau im flammend roten Rock, die in einem surrealen Raumgefüge kopfüber ins Bodenlose zu fallen scheint - ein rätselhafter Absprung in eine andere Welt. Hohlwangige Gipsköpfe betrachten aus dem Hintergrund das seltsame Schauspiel.

„Ein Maler ist kein Prophet", hat Wolfgang Lettl in seiner Rede zur Ausstellung anlässlich seines 80. Geburtstags gesagt; „aber er hat Träume und Ahnungen wie jeder andere Mensch auch, nur dass sie in seinen Bildern zum Vorschein kommen."