Lettl macht Ferien

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Rede von Wolfgang Lettl
zur Eröffnung der Ausstellung im Lettl-Atrium
Museum für surreale Kunst - Augsburg
am 5. November 1995


Liebe Kunstfreunde,
eigentlich wollte ich mit einem Zitat von Thomas Mann beginnen, aus seinem Romanwerk "Joseph und seine Brüder", wo er schildert, wie der Zahn der Zeit an der Gestalt des altgewordenen Erzpatriarchen Jakob genagt hatte. Weil aber der Roman in der Ausgabe, die mir zur Verfügung steht, drei Bände mit insgesamt 1362 Seiten umfaßt, habe ich die betreffende Stelle nicht gefunden und ich muß aus der Erinnerung zitieren, auf die Gefahr hin, daß dabei von Thomas Mann nicht mehr viel übrigbleibt.

Also ungefähr so: Vater Jakobs Gestalt war gebeugt, seine Haut fahl und fleckig, die Zähne großenteils ausgefallen, das Haupthaar schütter, Arme und Beine dünn geworden, seine Bewegungen unsicher und langsam und infolge seiner ausgerenkten Hüfte knickte er bei jedem Schritt ein. Sein faltiger Bauch trat hervor und er bekam einen Busen wie ein Mädchen, aber nicht so frisch und pfirsichartig, sondern eher wie Kartoffeln, aber das kann nicht sein, denn die Kartoffel hatte Kolumbus damals noch nicht entdeckt. Gerochen hat er nach Knoblauch.

Thomas Mann war halt ein sehr ausführlicher Erzähler.

Als ich das las, war mir klar, daß altern nicht unbedingt schön sein muß und daß alte Leute nicht gerade immer eine Zierde für die Umgebung sind. Da dachte ich mir: Laß die Straßen und Plätze den Jungen und zieh dich zurück in deinen Garten, da störst du nicht. Da aber ein Garten in Deutschland fünf Monate kalt ist und fünf weitere Monate verregnet, beschloß ich mit meiner Frau unsern Alterssitz nach Italien zu verlegen. Das ist jetzt schon über 20 Jahre her.

Wir kauften ein Grundstück in Siponto, am Golf von Manfredonia, gleich am Meer, weil es nach Auskunft meines alten Schulatlasses dort am wenigsten regnet, und bauten ein Haus darauf. Es gab dann viel Arbeit im Garten, denn da waren zunächst nur Disteln und anderes stachliges Zeug, aber inzwischen ist er fast fertig, mit einem Seerosenteich darin, mit Zypressen, Palmen und Pinien und was sonst alles im Süden wächst und blüht.

Im Haus waren die Wände noch leer, und das paßte nicht zu uns. Da packte ich meine alte Feldstaffelei, fuhr in die Umgebung und malte Bilder der Landschaft. Solche wie sie hier in der Ausstellung sind. Das ist nun aber doch der krasseste Gegensatz: Diese impressionistischen Bilder hier und die surrealistischen Kompositionen im Atrium. Stimmt. Es ist der Gegensatz zwischen Ferien und Arbeit. Das eine bedeutet Freude am Malen, das andere sucht dem Leben einen Sinn abzugewinnen.

Der Impressionismus gehört nicht zu den allerneuesten Kunstrichtungen; er steht am Beginn der "Moderne" und entstand um 1870 herum in der Gegend von Paris, als einige Maler die Schönheit des Lichts in der freien Landschaft entdeckten. Die Gegenstände an sich waren für sie nicht so wichtig, sie sahen in erster Linie das Spiel des Lichtes, das diese reflektierten. Sie interessierten sich nicht für soziale oder seelische oder sonstige Probleme, sondern für die Farben. Man mag das oberflächlich nennen, wenn man will. Woran es aber liegt, daß uns ihre besten Werke so sehr beglücken, das läßt sich nicht sagen, liegt an der Qualität dieser Malerei und die kann man nicht begründen, die sieht man. Der "klassische" Impressionismus blieb auf die Gegend um Paris beschränkt und auf den Zeitraum von etwa 30 Jahren. Inzwischen war Impressionismus zur Mode geworden, damit verbreitete er sich; verflachte schließlich und wurde in der Kunstszene von anderen Richtungen und Moden abgelöst.

Einer der Gründe seines Abklingen dürfte ganz banaler Art gewesen sein: Nicht nur eine unschöne Veränderung des Milieus einschließlich der Kleidermode und der Verkehrsmittel, teils infolge der fortschreitenden Industrialisierung und was damit zusammenhing, sondern auch, nicht zu übersehen, das Wetter - übrigens auch ein Grund, warum in Deutschland der Impressionismus nur gelegentlich zum Blühen kam.

Es ist frustrierend, wenn man zum Malen gehen will und dem Himmel dann nichts anderes einfällt als grau und regnerisch zu sein.

Ich lernte den Impressionismus als Schüler kennen.
Meine Zeichenlehrer an der Oberrealschule waren von ihm begeistert und es gelang ihnen, ihre Begeisterung auf uns Schüler zu übertragen. Meine ersten Versuche mit Wasserfarben hielten sich an das Rezept, das sie uns mitgaben:
Man nehme eine weiße Fläche und male an jede Stelle jeweils den entsprechenden Farbfleck, den man an der betreffenden Stelle vor sich sieht.

Für die übrigen Schulfächer hatte ich meinen Platz direkt am Fenster gewählt, und zu Ungunsten des gerade behandelten Unterrichtstoffes beobachtete ich mit großem Interesse das Spiel der sich verändernden Lichtflecken an der gegenüberliegenden Turnhalle.

Zwei Träume aus dieser Zeit blieben mir in Erinnerung:
Ich malte in der Stadt in der Nähe der Barfüßerkirche die sonnenbeschienenen Häuser und war glücklich dabei.
Ein andermal war ich in der Poebene und sah die Alpenkette von Süden, und da war ich auch glücklich.

Italien blieb ziemlich unbeleckt vom Impressionismus und Apulien in seiner Abgeschlossenheit fast gänzlich. Hier war spanischer Barock das Letzte und danach blüht weitgehend der süße Kitsch. Die Landschaft in ihrem herrlichen Licht und der herben Schönheit blieb unentdeckt; sie interessiert nur als landwirtschaftliche Nutzfläche oder, um den Müll abzuladen.
Wer seinem Auge etwas bieten will, schaut in den Fernseher.
Ein Maler dem es darum geht, sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen, müßte Betonruinen malen und häßliche Fabriken und Wohnsilos und Reklametafeln und Autoblech und viel Dreck.

Soll ich?

Oder soll ich mich umdrehen und ein bißchen zur Seite gehen? Wo ich noch den Abglanz des 7. Schöpfungstages sehen kann und noch ein Fleckchen Paradies? Oder eine Schafherde, wie zu Vater Jakobs Zeiten? Auch das ist Wirklichkeit. Und weil es ein so schönes Erlebnis ist, sich vom Licht dieser Landschaft verzaubern zu lassen, habe ich mehr dieser Bilder gemalt, als wir für unsere Zimmerwände eigentlich gebraucht hätten.

"Ferienbilder" zeigt die Ausstellung und das will sagen, daß Ferien nicht den Sinn unseres Lebens ausmachen, aber sie gehören auch dazu.

Ich wünsche, daß Sie sich mitfreuen an meinen Bildern.