Mannsbilder


Rede von Wolfgang Lettl
zur Eröffnung der Ausstellung im Lettl-Atrium
Museum für surreale Kunst - Augsburg
am 5. November 1997


Verehrte Frau Präsidentin, liebe Freunde,

auch in der Kunst gilt, was in der Bibel steht: Daß es nicht gut ist, daß der Mensch allein sei, und gemeint war im Hinblick auf den damals alleinigen Menschen Adam, weil der ja ein Mann war, daß es nicht gut gehe ohne das Weib. Wie gut es mit Weib geht ist eine andere Frage, die zwar die Bibel bis zum Schluß immer wieder und mitunter sehr aufregend beschäftigt, der wir aber hier nicht nachgehen brauchen obwohl gleich nachher die Geschichte mit dem Sündenfall kommt, wo mir nicht einleuchten will, wie Adam dazu kam, das Weib als "Gefährtin" zu bezeichnen, wo meiner Meinung nach "Gefährtin" doch etwas mit "Gefährt" und "fahren" zu tun hat. Beide setzen aber die Erfindung des Rades voraus oder etwas entsprechendem, Kufen für einen Schlitten etwa; solche Erfindungen sind aber doch viel später anzusetzen. Oder kommt "Gefährtin" von "Gefahr" und war die "Gefahr" das Primäre, das sich erst nach Erfindung der Fahrzeuge in der Abwandlung als "Gefährt" als deren Bezeichnung empfohlen hatte, nachdem sich offensichtlich ihre Gefährlichkeit erwiesen hatte?

Viele Rätsel. Aber ich bin von dem, wozu ich eigentlich etwas sagen wollte abgekommen, nämlich zum Titel dieser Ausstellung, zu deren Eröffnung ich Sie recht herzlich begrüße.

Es ist also nicht gut, wenn Mannsbilder allein sind, das haben die Künstler aller Zeiten gewußt, und obwohl sie im allgemeinen sehr charmant sind oder sich so geben, haben sie selbst bei der Darstellung des Höllensturzes nie auf ihre Lieblinge vom zarten Geschlecht verzichtet. Man denke nur an Rubens. In diesem Sinne darf ich sagen, daß in dieser "Mannsbilder" betitelten Ausstellung auch nicht nur "Mannsbilder" also Darstellungen von Männern, sondern auch solche, wo vielleicht sogar nicht einmal in überwältigender Mehrheit etliche Männer oder Andeutungen von solchen oder Hinweise darauf zu finden sind.

Um Verwirrungen zu vermeiden, will ich mir vornehmen, hier jetzt als "Mannsbilder" möglichst nur die Bilder zu bezeichnen; wenn ich Männer meine, werde ich "Männer" sagen.

Diese zugegebenermaßen nicht notwendigerweise auf den ersten Blick einleuchtende Unterscheidung enthebt mich jedenfalls der Peinlichkeit, schließlich auch noch von "Mannsbilderbildern" reden zu sollen. Hier muß ich ihnen gestehen, daß mir die Bezeichnung "Mannsbild" für einen Mann ohnehin nicht arg gefällt. Zwar sind mir im allgemeinen Mannsbilder immer noch lieber als solche die keine sind, aber dem Wort "Mannsbild" hängt für mich der Duft des vorigen Jahrhunderts an, so ein bißchen unangenehm nach Mottenkugeln, Stehkragen und Vollbart; vielleicht aber empfinden sie das anders, teilweise vermutlich.

Ich habe lange darüber nachgedacht, wie dieses Wort "Mannsbild" wohl entstanden sein mag und warum, und ich stieß so nebenbei auch auf das "gestandene Mannsbild", was so etwas wie der Superlativ von "Mannsbild" ist, aber doch nicht so sehr, daß man "Supermannsbild" dazu sagen könnte, das klänge auch zu modisch.

Mit dem einfachen "Mannsbild" hatte ich keine großen Schwierigkeiten und ich kam zu der Einsicht, daß sich die Bezeichnung "Mannsbild" von ölgemalten Portraits von höhergestellten Personen herleitet, denen daran lag, auf den Bildern schöner und edler und, je nach Geschlecht, majestätischer oder liebreizender auszusehen als in echt, und als es noch keine Fotographie gab, glaubte das treue Volk an die edlen Züge der Herren. In Wirklichkeit, und das sieht man an den seltenen Fotographien von damals, als Fotographieren gerade erst aufkam schauten die hochgestellten Herrschaften eher grantig und albern drein, denn es war ja noch unbekannt, daß man beim Fotographieren lächeln muß, was den grantigen Eindruck fast ganz wegnimmt, den albernen allerdings weniger. Heute weiß das jeder. Weil aber die gemalten Bilder schöner waren als die wirklichen Männer, bürgerte es sich ein, wenn so ein richtig männlicher "bildschöner" Mann daherkam, ihn als"Mannsbild" zu bezeichnen.

Was ein "gestandenes Mannsbild" sein soll blieb mir länger schleierhaft. Ein "standhafter Mann" das hätte mir eingeleuchtet. Aber "gestanden" bedeutet doch das Gegenteil, nämlich "inzwischen umgefallen". Da kamen mir zwei geographisch weit, zeitlich nicht so weit voneinander entfernte Lieder in den Sinn und zu Hilfe: "Fern bei Sedan, wohl auf den Höhen, steht ein Krieger auf der Wacht" und: "Es steht ein Soldat am Wolgastrand, hält Wache für sein Vaterland." Also: die standen fest, sind nicht umgefallen. Aber nach einiger Zeit wurden sie abgelöst und waren dann eben nicht mehr stehende, sondern "gestandene Mannsbilder". Soweit alles klar. Entweder man stirbt "als Soldat und brav" wie Gretchens Bruder Valentin oder das "gestandene Mannsbild" lebt weiter, unerschütterlich ehr- und pflichtbewußt bis an sein seliges Ende.

Über "Weibsbilder", und hier bitte ich die Damen, mir dieses unschöne Wort nicht übel zu nehmen, ich verwende es hier nur als Pendent zu "Mannsbilder", über "Weibsbilder" ließe sich zunächst das selbe sagen, aber nur scheinbar. Zwar soll es auch Portraits adliger Damen geben, wo der Pinsel des Hofmalers in Bezug auf die Schönheit der dämlichen Gesichtszüge etwas nachgeholfen haben soll, verständlicherweise, denn schließlich dienten die Bilder sehr häufig der Eheanbahnung, aber in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle versagte die Kunst vor der hinreißenden Schönheit und dem gütigen Lächeln der Damen und kann doch nur einen schwachen Abglanz der Wirklichkeit geben.

Jetzt zur Ausstellung: "Der Schritt in die richtige Richtung" ist zur Zeit gerade Mode und so heißt auch das Bild auf dem Ausstellungsplakat. Ein Mann hat statt Kopf ein Q. Q steht für "Frage", "Quo vadis?" Er kann nichts sehen, nur tasten. Könnte er sehen, wäre der Blick nach oben verheißungsvoll oder wenigstens trostvoll. Unten ist fester Boden. Links ist zu, rechts ist zu, hinten ist zu. Vorn ist nicht zu, aber was weiter kommt weiß er nicht und wissen wir auch nicht. Die Richtung ist sicher richtig, anders geht nämlich gar nichts. Aber bitte, nur einen Schritt mal, und vorsichtig! "Ratlosigkeit" sagt dieses Bild. Ratlosigkeit bestimmt weitgehend unsere Situation und unser Verhalten. Aber "Ratlosigkeit" heißt nicht "Hoffnungslosigkeit". Solange Kunst möglich ist, ist noch alles offen. Solange Kunst möglich ist - und ich meine Kunst, nicht Kunstbetrieb und Kunsthandel. Kunst hat mit Wahrheit zu tun und vermittelt Erkenntnis, Orientierung und Sinnerfüllung. Ob das, was uns im Kunstbetrieb, in Publikationen, bei Ausstellungen, öffentlichen Aufträgen, Ankäufen und Preisvergaben alles als "Kunst" zugemutet wird, in obigem Sinne als Kunst bezeichnet werden kann, darf bezweifelt werden. Die skrupellose Arroganz der einen, die Haltlosigkeit anderer und die geschäftstüchtige Mitläuferei vieler haben unserer oberflächlichen Wohlstandsgesellschaft vielfach eine als Kultur maskierte Barbarei beschert. Wir sind eben eine multikulturelle Gesellschaft, das ist zu akzeptieren.

Weil ich nicht so viele Bilder malen kann und weil mir auch immer wieder einige mißlingen, die ich dann doch lieber nicht herzeige, und weil diese Ausstellung hier in der Eingangshalle der IHK allmählich zur Tradition geworden ist, zeigen wir diesmal auch einige meiner älteren Bilder, die nicht im "Atrium" hängen und schon längere Zeit nirgendwo ausgestellt waren. Sie können zu einem interessanten Vergleich mit den neueren Bildern anregen, zu einer Rückschau auf meine unsicher tastenden Anfänge, Nebenwege und Irrtümer und einiges, das mir überraschend gelungen scheint. Sie erinnern mich an die Freude mit den ersten Malversuchen und Experimenten, aber auch an die Zweifel und die Unsicherheit über den Sinn des Ganzen. Nur wenige verstanden zunächst meine Versuche. "Malen kann er, aber warum malt er solchen Blödsinn?" war die wohlwollend-gängige Meinung über mich und von Amts wegen mußte ich mir anhören: "Das gehört verboten."

"Mannsbilder" nennt sich die Ausstellung. Auch ich frage mich, warum es nicht mehr gelingen mag, einen edlen Menschen in seiner ganzen gottesebenbildlichen Schönheit zu malen. Jeder derartige Versuch gerät unvermeidbar in die Nähe des Kitsches, es fällt uns schwer, der Vollkommenheit zu trauen. Entweder stimmt bei uns etwas nicht oder es hat schon lange nicht gestimmt und niemand wollte es wahr haben. Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob der Mensch nach zwei Weltkriegen mit Auschwitz und Atombombe seine Unschuld verloren hat oder ob er nur nach diesen zwei Weltkriegen endlich begriffen hat, daß er seine Unschuld schon längst verloren hatte. Vielleicht hat er sie noch gar nicht ganz verloren, ist nur auf dem besten Weg dorthin. Man kann es so sehen. Ob man es muß oder inwiefern man es muß ist eine Frage für Geschichtsphilosophen, nicht für Maler.

Auch surreale Bilder (es sei dahingestellt, ob für meine Bilder "surreal" die richtige Bezeichnung ist), auch surreale Bilder sollen und wollen meiner Meinung nach in erster Linie schön sein. Sie lassen verschiedene Deutungen zu, das macht einen Teil ihres Reizes aus. Ein hintergründiger Sinn erschließt sich nicht auf den ersten oder zweiten Blick. Schön ist nicht immer heiter, schön sein kann auch eine Beerdigung mit grauverhangenem Himmel und traurigen Regenschirmen, schön sein können auch Formen und Gestalten, an denen wir keinen weiteren Sinn erkennen können.

Übrigens: Wenn ein Mann keinen Kopf hat (im Bild meine ich) bedeutet das wahrscheinlich nicht, daß er guillotiniert worden ist; in unseren zivilisierten Zeiten und Breiten kommt so etwas kaum vor. Vielleicht ist er nur vorübergehend kopflos, wie man so sagt, wenn einer etwas verwirrt ist; er kann auch beim Grüßen nicht nur den Hut gezogen haben, sondern versehentlich gleich den Kopf mit, vor lauter Ehrerbietung, oder er hat seinen Kopf ganz wo anders, etwa beim Max-Plank-Institut abgegeben, zur Messung der Gehirnströme um feststellen zu lassen, ob noch alles seine Richtigkeit habe. - Doch das sind nur Mutmaßungen. Es könnte auch sein, daß den Maler im angenommenen Falle nur die Uniform und das Dekor interessiert hat und dem Beschauer anheimstellt, je nach Bedürfnis oder ästhetischem Empfinden sich seinen eigenen oder einen bekannten oder x-beliebigen Kopf an den freigelassenen Platz hinzudenken. Es soll niemandens Phantasie eingeengt werden.

Damit bin ich zum Schluß meiner kurzen Anmerkungen zum Thema "Mannsbilder" angekommen.

Ich wünsche ihnen viel Anregung und Vergnügen mit den Bildern.